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Prosa

Untersee bei Wangen, Foto: Manuela Ziegler

 

 

Unterseelandschaft

 

Aussicht ins Blau, Wasser ringsum.  Lieblich die Hügel und Bäume. Pappeln am Ufer entlang, und Seerücken dahinter aufragend, arrangiert wie eine Kulisse, ein Bild ohne Rahmen. Nur Azur spannt sich weit auf über allem, manchmal.

Obstbaumblüte, fliederlila, später im Jahr Lindenduft und Rosen. Die kleinen Orte, eingebettet in Streuobstwiesen. Horn, wo der Markgraf von Baden den schönsten Grabplatz überhaupt hat – zu seinen „Füssen“ Rhein und  Untersee. Gemüsestände an den Straßen, Wegweiser zu Strandbädern – Touristenziele. Alte Bauernhäuser, rausgeputztes Fachwerk, irgendwo im Dazwischen, deplatziert, das Internat Schloss Gaienhofen, Schule für Söhne und Töchter aus gutem Haus, arme Kinder. Im Gaienhofener Museum, Hesse und seine unglückliche Frau: ein schwarz-weiß Foto bei einem Besuch in meinem Kopf hängen geblieben. Hesse als Höri-Dichter, Stufen eines Literaten, das Familiäre war ihm Frauensache. Sein Wohnhaus von einst, ein Besuchermagnet wie das von Otto Dix am Ortsausgang. Seiner schönen Originale beraubt, sie hängen im Kunstmuseum Stuttgart inzwischen, nur noch Abklatsch an den Wänden. Die Aussicht von der Terrasse des Hauses hinüber zur Schweiz – Ziel vieler Exilanten. Dort drüben freute sich mancher Eidgenosse über das Feuerwerk des Zweiten Weltkrieges am Nachthimmel.

Zum Kotzen schönes Exil, fand Dix. Langeweile in grün und bunt. Idylle nicht zum Aushalten für einen Großstadtmenschen wie ihn. Für mich schon. Saftige Himbeeren, Zeltwiese mit dem Nachwuchs, Hohlwege am Schienerberg. Hohe Anstiege, flirrendes Sommerlicht. In der Stille des Waldes die Judenfriedhöfe. „Und war ihm leicht wie nie zuvor im Leben“ titelt Jacob Picard, Dichter des alemannischen Landjudentums. Zeugnis einer untergegangenen Kultur. Leben im Rhythmus der Natur, Feste im Jahreslauf zusammen mit den Hiesigen. Verweht, nein vernichtet. Gras drüber gewachsen. Mit der Natur leben heisst heute erntefrisch einkaufen, ins kühle Nass eintauchen, weiße Segel setzen. Kinderlachen und -kreischen, durch kleine, malerische Gassen streifen, Glockengeläut, abgeschieden sein, ein wenig nur. Aber der Ansturm kommt.

 

Text: Manuela Ziegler (2021)